Kurztripp in die Lutherstadt Wittenberg … ein Ausflug ins Spätmittelalter


Als wir jedenfalls da waren, da war es ganz anders. Also wirklich. Das muss ich dir einfach erzählen. Mühselig hatten wir die Pferde gesattelt, eine Kutsche war uns zu teuer. Dennoch hatten wir uns zu dieser Tagereise von unfassbaren 70 Kilometern von Potsdam kommend entschieden. Endlich wollten wir mal die mächtige Elbe sehen. Ein frischer Wind zog uns während der Reise um die Ohren. Doch wir hatten gute Kleidung. Derbe Leinen und darüber feinste Schafwolle. Weite Felder und üppige Wälder zogen an uns vorbei. Ackerbau und Viehzucht konnten wir unterwegs beobachten. Hier ein Landbäcker und da ein Schlachter. Einen Halt durften wir uns nicht erlauben. Wir mussten weiter, wenn wir vor Anbruch der Dunkelheit die Stadt Wittenberg noch erreichen wollten.
Direkt vor den mächtigen Toren der Stadt machten wir die Pferde an, hier bekamen sie kostenfrei Stroh und Wasser, während wir nun neugierig über holpriges Kopfsteinpflaster hineinlaufen. 
Schon kurz vor der Stadt hat er uns mit einem Hinweis versehen.
„Passt auf euch auf und bleibt gesund. Euer Martin“
…stand auf der kupfernen Tafel … das ist wirklich sehr nett vom Martin. Ihm ist ausdrücklich am Wohl der Menschen gelegen und so eine Pestepidemie ist einfach fürchterlich. 
Aber es ist die Zeit, in der man neben dem neu aufgekommen Buchdruck auch mit Hilfe von Wandbildern Informationen weiterträgt. Und während Marcus sich in einem Hinterhof in die neue und aufwendige Kunst der Bildgebung einarbeiten lässt … 
„Hey Luther, rufe ich. Ich bin ein Weib. Zu Hause immer nur am Herd. Sprechen soll ich auch am liebsten nicht so viel, lesen kann ich nicht. Kannst du mir vorlesen, was hier lateinisch an die Kirchentür angeschlagen ist?“
Und so stellt sich der feine Luther tatsächlich hinter mich und erklärt mir in bestem Neuhochdeutsch, was hier zu sehen ist und, dass er gerade gestern am 31.Oktober 1517 mit seiner bahnbrechenden Arbeit fertig geworden ist.
Schon längst ist er kein Mönch mehr, sondern seit 1512 Doktor der Theologie und so liest er mir alle seine 95 Thesen vor, welche er genau an diese tolle Kirchentür geheftet hat. Später soll diese Tür wohl beim Brand der Schlosskirche zerstört werden. Ich habe also Glück. 
„Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“.
Freimachen wollten wir uns, von all unserer und der Schuld unserer Vorfahren. Ich lasse meine kalten Finger im Münzbeutelchen kreisen und habe natürlich gleich eine Idee, was wir mit den gesparten Groschen anstellen.
Plötzlich kracht und platscht es hinter uns, da hat wohl gerade jemand sein Nachttopf aus dem Fenster gekippt. Schnell drehe ich mich um, endlich will ich mal einen Bewohner dieser Stadt sehen. Doch weit gefehlt. Die Straßen bleiben leer gefegt. Unfassbar. Immerhin gibt es ein Rinnsal, was die Exkremente von dannen spült.
Etwas betroffen schleichen wir durch die nach wie vor fast menschenleere Stadt und können dennoch unsere kleine Reise genießen. 

Nun wollen wir noch von ihm wissen, was da im Hintergrund des Marktplatzes für eine riesige Kirche steht. Es ist die St. Marienkirche und er geht mit uns auf den Kirchhof. Ein wahnsinniger Bau. Am Hintereingang wird gerade Brot und Wein geliefert. Luther grüßt den Händler, gibt ihm reichlich Münzen und erzählt uns, dass er hier das erste Mal diese zwei Dinge an die Bürgerschaft ausgibt und gleichzeitig die Messe in deutsch hält. Das scheint also der Geburtsort der Reformation zu sein. Und wir stehen genau davor. 
Er merkt, dass wir uns wirklich für seine Stadt interessieren und will uns nun noch sein Wohnhaus zeigen. Da sagen wir nicht nein. Wir gehen runter vom Kirchhof, drehen uns noch einmal um, um die St. Marienkirche auch von dieser Seite noch zu betrachten. 






Durch den Hof der prächtigen Schlosskirche und den sich anschließenden Luthergarten eilen wir zu unseren Tieren. 
Soll das etwa eine Eisenbahnbrücke sein?
Wahrscheinlich nur eine Halluzination…
Und um es nun mit Luther zu sagen:
„Ans Ziel kommt nur, wer Eines hat“ … ich habe jetzt ein Ziel, nämlich meine feinsten Daunen. Gerade als ich diese Zeilen fertig tippe, ist es bereits nach 23.00 Uhr.
Aber eins möchte ich dennoch mit dir teilen. Viele Menschen fragen sich, wer Gott ist. Eine Lehrerin hat mal zu mir gesagt – Gott ist Liebe pur. Martin hat darauf auch eine Antwort:
„Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“.
Was hättest du Martin gefragt, wenn du ihm begegnet wärst? Schreib´s mir mal rein in die Kommentare – und auch, ob dir der kleine Ausflug ins Spätmittelalter gefallen hat. Da sind wohl die Pferde mit mir ein wenig durchgegangen.
Das alles ist natürlich nicht meinem weibischem Gehirn entsprungen. Ich habe mir Hilfe geholt:
Hier sind die Quellen der Informationen:
Ja – dann schau doch gern demnächst hier wieder vorbei und sei gespannt auf unsere nächste kleine Reise.
7 Kommentare
Ganz interessant und klasse geschrieben! Das Gefühl kam auf, neben Luther zu stehen. Danke für diese gute Reise ins Mittelalter. Toll!
Vielen Dank für das Feedback – freut mich sehr, wenn es sich authentisch liest. Lg Sandra
Eine wunderbare Geschichtsstunde für mich. Danke! So etwas wurde uns vor 60 Jahren in der Schule nicht erzählt. Die Fotos sind einwandfrei getroffen, aber vor 500 Jahren war das Wetter wohl auch nicht besser als heute. Der Bericht ist eine Anregung, auch mal dort zu spazieren. Ich habe die Stadt immer nur von der Brücke gesehen bei der Arbeit.
…vielen Dank für den tollen Kommentar. Das ich als Geschichtslehrerin tauge, hätte ich mir mal nie träumen wagen. Und ja – unbedingt dort spazieren gehen. Ist schön da! Lg Sandra
..amüsant zu lesen.. bin neulich (Ostern 2021) auch mal dort gewesen …habe genau die gleichen Eindrücke wahrgenommen … wirklich lohnenswert eine Reise dorthin
..amüsant zu lesen.. bin neulich (Ostern 2021) auch mal dort gewesen …habe genau die gleichen Eindrücke wahrgenommen … wirklich lohnenswert eine Reise dorthin
Vielen Dank für Deine Nachricht – da kann man ruhig öfter hin. Ich war nun das zweite Mal dort und ich denke, bei Weitem immer noch nicht alles gesehen. Lg Sandra