Tripp Tipp

Unterwegs mit Pilzexperte Wolfgang Bivour

Lesedauer 8 Minuten

„In die Pilze gehen“ ist schon immer eine Tradition in meiner Familie gewesen. Dunkel erinnere ich mich, dass vom Wiesenchampignon, über den Birkenpilz sowie sämtliche andere Röhrlinge alles wie selbstverständlich in unserem Körbchen landete. Doch irgendwo ist mit den Jahren bei mir ein Teil des Wissens oder die Sicherheit darüber verloren gegangen. Lag das am Reaktorunglück Tschernobyl 1986 und der Tatsache, dass selbst viele Jahre danach weniger gesammelt wurde? Oder an den Jahren, in denen ich aus unerfindlichen Gründen nicht sammeln war? Ich weiß es nicht. Jedenfalls  bekenne ich mich mittlerweile zur exklusiven und sicherheitsliebenden Maronensammlerin und ernte dafür ab und an die Medaille der Pilzlangweilerin. Geschenkt. Und dennoch fixt mich das Thema Pilze zunehmend an, wie gerufen kam daher ein Facebook-Aufruf von Wolfang Bivour, einem Pilzsachverständigen aus Potsdam, dass noch Plätze in seiner Pilzwanderung frei seien. Ich habe sofort gebucht und weil ich es richtig toll fand, erzähle ich dir heute mal ein wenig, wie so eine Pilzwanderung abläuft, denn es war meine Erste. Also: Pack´ dein Pilzkörbchen ein, es geht in den Wald bei Dobbrikow im Landkreis Teltow-Fläming.

Anfangsgeplänkel

Die Pilzwanderung startet 9.00 Uhr in Dobbrikow, nahezu auf den Punkt rollen wir am dortigen Schullandheim ein und werden zunächst von der freundlichen Dame der Volkshochschule Teltow-Fläming begrüßt und auf den Parkplatz eingewiesen. So nach und nach trudeln unsere, mit Pilzkörbchen, Proviant und dicken Sachen bewaffneten Mitwanderer ein.

Schullandheim Dobbrikow Pilzwanderung mit Wolfgang Bivour
Schullandheim Dobbrikow

Wolfgang Bivour hat bereits ein paar Pilzbücher ausgelegt, eine riesige Kiste mit bereits gesammelten Pilzen im Garten abgestellt und seinen Beamer bereitgestellt. Das verspricht ein wissensreicher Tag zu werden.

Pilzkiste zur Anschauung
Pilzkiste zur Anschauung

Und schon gehen wir in die Pilze…

Ziemlich konsequent und eigentlich ohne größere Erklärungen laufen wir in den Wald. Jetzt dürfen und sollen wir sammeln. Äh ja – ich bin ein wenig irritiert. Was denn eigentlich? Na ich tippel einfach mal mit.

Doch es dauert nur ein paar winzige Augenblicke, dann klärt sich meine eine große Frage des Tages: Wie läuft eigentlich so eine Pilzwanderung ab?

Keine 100 Meter und Wolfgang, in der Pilzbranche duzt man sich, stürzt sich ins Gras und hebt den ersten Pilz samt Wurzel heraus. Sofort an Ort und Stelle wird dieser Pilz besprochen. Kaum fertig, bringt ein Teilnehmer den nächsten Pilz. Der Name des Pilzes und auch einiger nächster Pilze wird genannt, der Pilz beschrieben und markante Merkmale hervorgehoben. Grünling, Erdritterling, Körnchenschirmling… hui, das geht ja gleich ordentlich zur Sache.

Wir stolpern als breit gezogene Gruppe durch den Wald und schauen uns also alles an, was uns vor die Füße wächst. Ganz unabhängig davon, ob sie essbar sind oder nicht. Wolfgang wandelt während der ganzen Zeit wie ein Lexikon zwischen uns und greift geduldig alles auf, was an Fragen oder eben Pilzen aufgreifbar ist. Extem lehrreich und auch beeindruckend.

Keine 5 Minuten sind nun vergangen. Bisschen schwindlig ist uns schon ob der vielen Pilzlinge. Die Frau neben mir zückt ihr Notizbuch, ich öffne die Notizen-App in meinem Handy. Ja, nur dafür und vielleicht für ein paar Fotos verwende ich das Handy im Wald. Es ist dabei stumm geschaltet. Das Pling und Plong kam von anderen Handys, auch wenn das in dem Moment so aussah, als checke ich meine Nachrichten. Na egal. Wir schreiben ab da also fleißg mit, was wir für Pilze begutachtet und erklärt bekommen haben. Am Ende des Tages sollen es ganze 31 auf meiner Liste sein.

Pilzflash

Schon recht bald tritt ein ganz interessantes Phänomen bei mir ein. Meine heiß geliebten Maronen fallen mir gar nicht mehr auf und mein Blick fällt auf eine Menge unbekannter aber wirklich hübscher Pilze. Sie leuchten in allen erdenklichen Farben aus dem Waldboden. Lila, weiß, grün, rot. Im Laufe der Pilzwanderung gibt es natürlich Wiedererkennungseffekte, wie bei ihm hier zum Beispiel. Der Edel-Reizker.

Edelreizker

Mit an Perfektion grenzender Sicherheit weist uns Wolfgang unmittelbar auf die Abgrenzungsmerkmale hin. Schneidet man den zur Gattung der Milchlinge gehörenden Edel-Reizker an den Lamellen etwas an, „milcht“ er rot. Tut er das nicht, dann ist es vielleicht ein Birkenreizker, aber hey – dieser Blogbeitrag ist keinerlei Pilzberatung. Also sammelt und esst Pilze nur, wenn ihr sie sicher als essbar bestimmen könnt. Kennen ist das eine, beim Sammeln prüfen, z.B. durch Anschnitt oder Kosten, wenn man sich sicher ist, dass Kosten Sinn ergibt und nicht mit Vergiftung endet, das andere.

Es war übrigens schön, wie sich auch die Teilnehmer untereinander für die Pilze interessieren. Ich borge mir also die Hand und den Fund eines Teilnehmers – den Anschnitt vom Edel-Reizker. Dankeschön unbekannterweise. (danke an dieser Stelle auch für den sauber sortierten Pilzfund auf dem Beitragsbild).

Edelreizker Anschnitt
Anschnitt – Test Edelreizker

Wenn selbst der Pilzkenner das Handy zückt…

…dann kannst du dir sicher sein, dass etwas eher seltenes oder sehr schönes gefunden wurde.

In dem Fall war es ein riesiger Habichtspilz. Ein extrem fotogener Pilz, den ich zuvor noch nie gesehen hatte. Wir machen ein paar Größenrelationsfotos, auch dafür ist auf solch´ einer Wanderung Zeit und auch hier habe ich mir mal das Pilzkörbchen von Wolfgang Bivour und den Fuß eines Teilnehmers geborgt. Dankeschön an dieser Stelle.

Habichtspilz
Habichtspilz

Die schuppige Hutoberseite erinnert an die Federn eines Habichts, unter dem Hut finden sich zwar weiche aber deutlich sicht- und spürbare Stacheln. Spannend, was der Wald so alles hervorbringt. Sehen, fühlen, riechen, schmecken… solch´ eine Pilzwanderung ist das reinste Waldbaden.

Ich zumindest habe eine Menge gelernt. Über Täublinge zum Beispiel und das man im Prinzip alle Täublinge, die man findet, kosten sollte. Hierbei geht es um die Unterscheidung „mild“ oder „scharf“. Ich probiere den ziemlich scharfen Paprikapilz, eine kleine Ladung Pfeffer hätte locker mithalten können. Darüberhinaus zerbröseln wir die styroporartigen Täublinge, um ein Gefühl für die Konsistenz zu bekommen und lauschen dem Knacken des Stieles. Wirklich sehr interessant und auch einprägsam.

Ich weiß jetzt auch, dass es Pilze wie zum Beispiel den Grünling gibt, die nicht ausschließlich Magen-Darm-Symptome als Vergiftungserscheinung hervorrufen, sondern auch eine sogenannte Rhabdomyolyse auslösen können. Hier werde ich als Osteopathin hellhörig.

Rhabdomyolyse, dass musste ich erst mal nachschlagen. Das ist ein Gewebezerfall von Muskelzellen, dessen spürbare Reaktionen erst nach 24 – 72 Stunden einsetzen. Wer denkt denn mittwochs noch an ein Pilzgericht vom Sonntag? Um so unerklärlicher kann es also sein, wenn dann plötzlich die Muskeln vor allem am Oberschenkel schmerzen, Muskelschwäche auftritt oder in schlimmeren Fällen auch Fieber, Schwitzen und Übelkeit hinzukommt.

Fulminant kann diese Vergiftung mit Nierenversagen enden – um das und auch andere Folgen heftiger Pilzvergiftungen zu umgehen, ist in dem Fall also bitte nicht der Osteopath, sondern dringendst die Rettungsstelle aufzusuchen.

Auch Wolfgang Bivour wird immer wieder von Potsdamer Krankenhäusern hinzugezogen. Anhand Befragung der Betroffenen, Beschreibung der Pilze oder Untersuchung der Putzreste findet er dann heraus, welcher Pilz die Symptome verursacht haben könnte. Eine mehr als spannende und traurige Geschichte dazu, wird er uns später aus seinem jüngst erschienen Buch vorlesen.

Zurück in die warme Stube

Nach gut 2,5 Stunden stellt sich ein wenig Hunger ein, zudem ist es recht kalt. Wir kehren zum Ausgangspunkt zurück. Die gut bestückten Pilzkörbe werden vor dem Haus „geparkt“, drinne verspeisen wir unseren mitgebrachten Proviant. Der heiße Tee ist Gold wert.

Vorher nutzte ich noch schnell die Chance auf ein Körbe-Shooting.

Man, ich bin ja mal überhaupt nicht trendy mit meinem roten Plastikkorb. Die Pilze und mich interessiert das übrigens überhaupt nicht, ob das ein Plastik- oder Weidenkörbchen ist. Hauptsache das Sammelgefäß ist luftdurchlässig. Eine Plastiktüte soll man zum Beispiel nicht zum Sammeln von Pilzen verwenden.

Pilzkorb-Parkplatz

Dennoch ist so ein Pilzkörbchen natürlich wahnsinnig fotogen und so „klaue“ ich mir für das Bild Wolfgangs Pilzkörbchen, um euch hier ein wenig optisch zu erfreuen. Wie gesagt, nicht wundern – wir haben giftige und essbare Pilze mitgenommen, das rote Ding im Körbchen kennt ihr hoffentlich alle und wisst, dass dies allenfalls ein hübsches Fotomodel ist.

Das Pilzkörbchen vom Pilzkenner Wolfgang Bivour
Das Pilzkörbchen vom Pilzkenner Wolfgang Bivour

Die Auslese

Nach einem ebenfalls interessantem Vortrag samt Präsentation gehen wir nun nochmals auf den Hof vom Schullandheim. Das wir die meiste Zeit draußen und mit praktischen Dingen verbracht haben, hat mir sehr gut gefallen.

Alle Teilnehmer dürfen ihre Funde nun auf den Holztischen präsentieren und wir schauen nochmals alle Pilze an. Wolfgang begutachtet hier nun explizit nochmal auf Essbarkeit und ich „klaue“ mir die wirklich fotogene Fundsache eines weiteren Teilnehmers für ein weiteres Foto. Bei mir persönlich wird es noch sehr lange dauern, bis eine Pilzwanderung so derartig hübsch bunt endet. Da gehört eine Menge Wissen dazu – ich ziehe den Hut vor allen, bei denen es so im Korb ausschaut.

Keine Gnade kennt Wolfgang mit Pilzfunden, die er mit dem Wort „Latsch“ attributiert. Das sind alte, teils schwammige Maronen oder bereits zerfressene Maronen, oder auch andere Pilzarten, dier er nie im Leben sammeln würde. Ein für meine Augen eigentlich stattlicher und guter Pilz bekommt somit einen Freiflug in den Wald. Auch dafür war es gut, mal eine offizielle Meinung zu hören. Viele Pilzvergiftungen werden seiner Meinung nach durch alte, bereits im Zersetzungsprozess befindliche Pilze, hervorgerufen.

Mein Fazit:

Na was soll ich sagen außer: Die Wanderung hat Spaß gemacht und ein handsigniertes Buch von Wolfgang Bivour steht nun in unserem Buchregal.

Schön war´s, gelernt habe ich auch eine Menge und gleichzeitig bleibt mein Respekt vor den vielen Milchlingen, Täublingen, Schleimlingen. Ich werd´ mich wohl noch lange vor allem mit Röhrlingen befassen.

Ich weiß jetzt auch, warum es gut sein kann, den Pilz im Ganzen rauszunehmen. Zum Beispiel um zu sehen, ob er unten eine Knolle hat – wie zum Beispiel der grüne, hochgiftige Knollenblätterpilz. Hübsch anzusehen und im Bild hier unten findet ihr drei Exemplare direkt rechts neben dem Fliegenpilz.

 

Ich bin auch froh, mich noch nie an den Parasol rangetraut zu haben, obgleich der doch so unverkennbar sein soll und alle ihn sammeln und „wie ein Schnitzel braten“. Dieser ist zum Beispiel verwechselbar mit dem Gift-Riesenschirmling oder dem Gelben Knollenblätterpilz. Ziemlich unverkennbares Merkmal des Parasolpilz sei wohl der genatterte Stiel. Kein sicheres Zeichen sei zum Beispiel der verschiebbare Ring, der immer wieder erwähnt wird. Zwar nicht gestern aber in der Lüneburger Heide hatten wir im September 2021 wunderschöne Exemplare gefunden:

So – für heute soll´s das erst mal gewesen sein. Hast du schon mal an einer offiziellen Pilzwanderung teilgenommen? Schreib mir gern mal, wie das bei dir so war.

Vielen Dank darüber hinaus, dass du dich heute mit mir auf kleine Pilzexkursion begeben hast. Schau gern in Kürze wieder hier hinein und lass dich überraschen, was wir dann erleben.

Und vor allem nochmals Danke an Wolfgang Bivour, dass du dein Wissen an uns weitergegeben hat!

 

Weiterführende Infos:

Wolfgang Bivour ist Vorsitzender des Brandenburgischen Landesverbandes der Pilzsachverständigen e.V.  und hier geht es zur Webseite.

Zusammen mit seinem Kollegen Sebastian Sturzbecher hat er bereits 64 Folgen vom Pilzpodcast rausgelassen. Pilzhut ab, allein die muss man erst mal einsprechen. Hier geht´s zum Pilzpodcast

Wolfgang Bivour hat ein schönes Kinderbuch herausgegeben – hier anschauen (*)

 

Weiterführende Links:

Newsmeldung zu Grünlingvergiftung

Maz-Beitrag zur Buchveröffentlichung von Wolfgang Bivour

3 Kommentare

  • Wow, sehr interessant! Immer mal wieder finde ich einen Pilz, bei dem ich gern einen Pilzkenner wie Wolfgang Bivour fragen möchte, was mir da vor die,Füße „gewachsen“ ist. Das Pilzbuch sagt dann manchmal, es könnte der oder der sein… Das es ein Pendant zum essbaren Parasol gibt, war mir unbekannt. Danke für den kurzweiligen Beitrag.

    Antworten
    • Hallo Anja!
      Gern geschehen – und selbst Wolfgang Bivour kann nicht jeden Pilz vor Ort bestimmen. Manchmal sind mikroskopische Untersuchungen nötig, um ganz sicher zu sagen, was das für ein Pilz ist. Also keine Sorge, es wird genug Pilze geben, die wir nie im Leben sicher bestimmen und demnach auch nicht essen werden 😉
      Lg Sandra

      Antworten
  • Liebe Sandra,
    sehr spannend! Ich habe mich noch nie in die Pilze getraut, aber dein Artikel hat richtig Lust gemacht auf eine Pilz-Exkursion im nächsten Herbst. Bestimmt gibt es auch hier in München Angebote mit Spezialisten.
    Liebe Grüße
    Elke

    Antworten

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